Wandel der Prüfungskultur(en)
Insbesondere an großen Hochschulen mit vielen Fachbereichen (Fakultäten) zeigt sich deutlich, dass es mehrere, parallel existierende Prüfungskulturen gibt, die vor allem von Überzeugungen in der spezifischen Fachkultur geprägt sind. Diese Diversität lässt sich in Bezug auf schriftliche Prüfungen allerdings auch sehr schnell auf einen Nenner bringen: dominante Prüfungsformen sind Klausur und Hausarbeit. Doch spätestens seit der Disruption durch generative KI (Ende 2022) wird deutlich, dass sich Prüfen ändern müsste. Es braucht demnach einen Wandel in der Prüfungskultur.
Um Raum für prüfungsrelevante Innovationen zu schaffen, ist es nötig, ein Bewusstsein für Möglichkeiten zur Veränderung der bestehenden Prüfungskultur zu schaffen [Beyer & Erbe 2023, 49]:
- Abstraktion: Die Prüfungen sollten a) nach Prüfungen mit Rechtsfolgen und b) nach Feedback ohne Rechtsfolge unterschieden werden. Die Prüfungsformen von a) sollten generisch als schriftliche, mündliche oder praktische Prüfungen kategorisiert werden, die die jeweilige Prüfungsordnung bzgl. zeitlicher, räumlicher und sozialer Vorgaben spezifiziert.
- Reduktion: Die Anzahl der Prüfungen mit Rechtsfolgen sollte reduziert werden, um Raum für Feedback-Aufgaben zu schaffen.
- Kombination: Die Prüfungen mit Rechtsfolgen sollten spiralcurricular angelegt und vom Ausbildungsziel abgeleitet werden (Passung der Inhalte & Formen zum Ziel). Außerdem könnten verschiedene Formen auch im Rahmen einer Prüfung miteinander kombiniert werden (Blended Assessment), so dass bspw. eine digitale Fernprüfung (24h-Hausarbeit) mit einem mündlichen Peer-Review vor Ort gekoppelt wird.
An der HU Berlin ist das Thema Prüfungs- und Feedbackkultur im Leitbild Lehre unter den Leitlinien für gute Lehre zentral verankert. Dort heißt es:
3. Gute Lehre nutzt ein breites Spektrum an Methoden und passenden Prüfungsformen und stützt sich auf eine entwickelte Feedbackkultur. [...] Prüfungskultur: Grundsätzlich ist eine transparente Passung zwischen Kompetenzzielen, Lehr-Lernaktivitäten und Prüfungsleistungen herzustellen. Demnach sind auch Prüfungsformen und -formate kontinuierlich zu evaluieren und im Rahmen einer umfassenderen Prüfungskultur weiterzuentwickeln.
Digitale Prüfungen erweitern die Möglichkeiten der Aufgabenstellungen und geprüften Kompetenzen. Sie bieten zusätzlich das Potenzial zur Effizienzsteigerung des Bewertungsprozesses, wodurch mehr Zeit für Feedback bleibt. Auf diesem Wege tragen sie zu einem Wandel der Prüfungskultur(en) an der HU bei - in dem Bewusstsein, dass sich Überzeugungen und Praktiken nur langsam ändern (lassen).
Bibliographie:
- Budde, J., Eichhorn, J., & Tobor, J. (2024): Vision einer neuen Prüfungskultur (Diskussionspapier No. 28; S. 16). Hochschulforum Digitalisierung (HFD). https://hochschulforumdigitalisierung.de/wp-content/uploads/2024/01/HFD_Diskussionspapier_28_Vision-einer_neuen_Pruefungskultur_final.pdf
- Beyer, A., & Erbe, A. (2023): A-Assessment, B-Assessment, E-Assessment—Prüfungskultur gemeinsam weiterentwickeln. Innovative ePrüfungskonzepte - Neue Ideen und individuelle Lösungen, 48–50. https://doi.org/10.18154/RWTH-2024-01576
- Beyer, A., & Erbe, A. (2023) Poster A-Assessment, B-Assessment, E-Assessment—Prüfungskultur gemeinsam weiterentwickeln. Innovative ePrüfungskonzepte - Neue Ideen und individuelle Lösungen. https://zenodo.org/records/15676183
- Döbler, J. (2019): Prüfungsregime und Prüfungskulturen: Soziologische Beobachtungen zur internen Organisation von Hochschule. Springer Fachmedien. https://doi.org/10.1007/978-3-658-25290-8
- Huber, L., & Reinmann, G. (2019): Vom forschungsnahen zum forschenden Lernen an Hochschulen: Wege der Bildung durch Wissenschaft. Springer Fachmedien. https://doi.org/10.1007/978-3-658-24949-6
- Reinmann, G. (2022): Ungeliebter Druck. Thesen für einen Wandel der Prüfungskultur. Forschung & Lehre, 6, 456–457.