Humboldt-Universität zu Berlin - Digitales Prüfen

Prüfungskultur

Prüfungskultur umfasst drei Aspekte: Überzeugungen, Verfahren und Praktiken.

Jenseits der Expertisen und Hochglanzbroschüren […] finden wir an unseren Universitäten allerdings einen Lehr- und Prüfungsalltag vor, mit dem kaum einer so richtig zufrieden ist: Es gibt zu viele Prüfungen, die Art des Prüfens ist insgesamt betrachtet einseitig, und dass wirklich Kompetenzen erfasst werden, darf getrost bezweifelt werden. Daran hat bislang auch die wachsende Anzahl an Ratgebern nichts geändert, die Lehrende und Studienganggestalterinnen und -gestalter darin anleiten wollen, Lehre und Prüfungen kompetenzorientiert zu machen […]. Anspruch und Wirklichkeit klaffen weit auseinander. (Reinmann 2016, 117)

 

Was bedeutet Prüfungskultur?

Prüfungen stellen soziale Handlungen mit einem asymmetrischen Interaktionsverhältnis der Hauptakteure dar (vgl. Döbler 2019, 71). Im hochschulischen Kontext kommt ihnen vor allem eine Selektionsfunktion zu. Sie können darüber hinaus auch zur individuellen Rückmeldung des Leistungs-/Wissensstandes dienen, doch dies gilt mehr für lernbegleitende Prüfungsformate. Aufgrund ihres sozialen Charakters, in dem "eben nicht (nur) Informationen, sondern Erfahrungen, eigene Motive und Wertsetzungen, aber auch typisierende Zuschreibungen, Alltagstheorien und kollektive Mythen […] aufeinander bezogen werden" (Döbler 2019, 73), unterliegen "Prüfungspraktiken nicht-leistungskonformen Einflüssen" (ibid.). 

Demzufolge bezieht sich eine Prüfungskultur - aufgrund ihrer sozialen Bezogenheit gibt es in Abhängigkeit der beteiligten Personen und Fachkulturen unterschiedlich ausgeprägte Prüfungskulturen - auf die Gesamtheit der Überzeugungen (Werte), Verfahren und Praktiken (Normen), die den Umgang mit Prüfungen und Bewertungen an einer Hochschule prägen (vgl. Budde et al. 2024, 4). 

  • Überzeugungen: Sie verkörpern die individuellen und kollektiven Überzeugungen in Bezug auf das Prüfen. Frage: Was wird im Hochschulsystem generell oder von einzelnen Personen unter einer „guten Prüfung” verstanden?
  • Verfahren: Sie beziehen sich auf die Prüfungsorganisation, zu der auch Handlungen gehören, die nicht direkt mit dem eigentlichen Prüfungsgeschehen zu tun haben, wie Dokumentation und Archivierung von Prüfungsergebnissen und -objekten. Frage: Wie werden (können) Prüfungen korrekt durchgeführt?
  • Praktiken: Sie beinhalten das eigentliche Prüfungshandeln und -verhalten. Frage: Welche konkreten Handlungen gibt es, durch die die Hauptakteure (Lehrende, Studierende) eine Prüfung zu einer Prüfung werden lassen.

Eine reflektierte Prüfungskultur ist entscheidend für den Erfolg und die Zufriedenheit der Studierenden (und Lehrenden). Sie trägt dazu bei, dass Studierende ihre Fähigkeiten und ihr Wissen erfolgreich demonstrieren und sich in einem unterstützenden, angstfreien und fairen Umfeld bewegen können. Darüber hinaus unterstützt eine positive wahrgenommene Prüfungskultur die Entfaltung eines guten allgmeinen Arbeitsklimas. 

 

Merkmale einer positiv wahrgenommenen Prüfungskultur

  1. Quantität: Wenige Prüfungen sinnvoll verteilt auf einen Studiengang (Anzahl im einstelligen Bereich).
  2. Qualität: Komplexe Prüfungen, die Kompetenzen mit einem reflektierten Anspruch erfassen.
  3. Transparenz: Klare und verständliche Informationen über Prüfungsformate, Bewertungskriterien und Erwartungen.
  4. Fairness: Gleichbehandlung aller Studierenden und Vermeidung von Diskriminierung.
  5. Unterstützung: Bereitstellung von Ressourcen und Unterstützung, um Studierende auf Prüfungen vorzubereiten.
  6. Inklusivität: Berücksichtigung der individuellen Bedürfnisse und Herausforderungen der Studierenden.
  7. Feedback: Konstruktives und zeitnahes Feedback, das den Lernprozess fördert.
  8. Integrität: Strenge Maßnahmen gegen akademisches Fehlverhalten wie Plagiate und Betrug.

 

Maßnahmen zur Entwicklung einer positiv wahrgenommenen Prüfungskultur

  1. Rechtlicher Rahmen: Öffnung und Flexibilisierung der prüfungsrechtlichen Vorgaben.
  2. Kommunikation: Regelmäßige und offene Kommunikation zwischen Studierenden und Lehrenden.
  3. Schulungen: Fortbildungen für Lehrende und Studierende zu Themen wie Prüfungsgestaltung, Prüfungsdidaktik und gute wissenschaftliche Praxis - auch im KI-Zeitalter.
  4. Richtlinien: Klare und umsetzbare Richtlinien und Verfahren für Prüfungen und Bewertungen.
  5. Feedback-Kultur: Etablierung einer Kultur des konstruktiven Feedbacks, die den Lernprozess unterstützt.
  6. Unterstützungsangebote: Bereitstellung von Lernressourcen, Tutorien und Beratungsangeboten.

Eine reflektierte, sich stets weiterentwickelnde Prüfungskultur stellt einen kontinuierlichen Prozess dar, der die Zusammenarbeit und das Engagement aller Beteiligten erfordert. 

 


 

Bibliographie: